Es ist geschafft! Die Zeugnisse sind geschrieben und ausgegeben. Ein (womöglich) turbulentes Schuljahr liegt hinter uns, in dem mehr oder weniger mahnende, oft genug selbst ernannte
Reformpädagogen mit grandiosen Ideen und Vorschlägen aufgetreten sind und damit herkömmliche Schulen und Unterricht kritisierten. Manche wissen eben kraft Eingebung sowieso alles besser als
diejenigen, die den Lehrerberuf sorgfältig gelernt und viele Jahre Erfahrung in eben diesem Beruf gesammelt haben. An prominenter Stelle kann Deutschlands Allerweltsphilosoph Richard David Precht
genannt werden, dessen laienhafte Irrtümer sich in einem Buch mit dem Titel „Anna, die Schule und der liebe Gott. Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern“ wiederfinden. Würde man dessen
pädagogische Scharlatanerie ernst nehmen, müsste an sehr vielem, was wir als Lehrerin und Lehrer Tag für Tag verantworten, gezweifelt werden. Oder besser: Ein schlechtes Gewissen müsste uns
niederdrücken angesichts dessen, was angeblich alles schiefläuft und viel besser gemacht werden könnte. Wir sind nur zu zäh, zu träge und aus Bequemlichkeit zu beharrend, um endlich die
pädagogische Himmelsrichtung einzuschlagen. Schließlich geht es in der (Phantasie-)Schule der Zukunft nicht um Unterrichten, nicht um Lehren, nicht um Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnissen
und schon gar nicht um hoch zu haltende Leistungsmaßstäbe, sondern möglichst um eine Spielwiese, auf der sich ungemein lern- und wissbegierige junge Menschen tummeln, die ihr Lernen selbst
organisieren und in der ein Lehrerbeamter sich am besten obsolet macht. Tatsächlich ist der Gipfel der didaktischen Kunst in diesem radikal-konstruktivistischen Sinne weder das Thema/der Inhalt
einer Unterrichtsstunde noch der Lehrer, der lehrt. Im Kontext derartiger Reformeuphorie erscheint ein „normaler“ Unterricht (gar ein Lehrervortrag, ein Frontalunterricht, eine vom Lehrer
deutlich gesteuerte Unterrichtsstunde) als etwas Banales, Langweiliges und eigentlich nicht mehr Statthaftes.
Lassen wir uns nicht kirre machen. Denn: Wofür sind Lehrerinnen und Lehrer in erster Linie verantwortlich? – Die Hauptsache ist und bleibt der Unterricht und damit verbunden selbstverständlich
Erziehungs- und Bildungsaufgaben. Faktisch bleibt Unterricht eine spezifische Praxis, nämlich die einer Vermittlung von Wissen und Kenntnissen, diese Vermittlung wird inszeniert mit
Unterrichtstechniken und hoffentlich fundamentiert von einem Erziehungsethos, das nicht moralisierend daherkommt, sondern auf eine möglichst umfassende Bildung des jungen Menschen in einer sich
verändernden Welt abhebt. Der Lehrer trägt dafür Sorge, dass Themen und Personen in ein Verhältnis gesetzt werden, und das Kerngeschäft des Lehrers ist dabei eine didaktische Kommunikation. Diese
ist zu beschreiben als eine Zuwendung zum Schüler, als eine Wertschätzung, die neben Lob nicht verletzende Mahnung einschließt, und die eine diskursive, verständliche Vermittlung unbedingt
beachtet, was sich auch auf eine Notengebung zu erstrecken hat, die nachvollziehbar und transparent erscheinen muss. Eine moderne Pädagogik sollte sich nicht auf den Weg einer didaktischen
Hochstapelei begeben, sondern – wie ernüchternd (!) - das ernst nehmen, was man schon lange weiß. Nämlich: Es gibt erstens einen inhaltlich-thematischen Aspekt des Unterrichts, zweitens den
sozialen oder Beziehungsaspekt und drittens den operativen (methodisch-medialen) Aspekt der Artikulation. Ein Lehrer oder eine Lehrerin, die diesen pädagogischen Bezug beherrscht, ihn
angemessen variiert und entwickelt angesichts gesellschaftlicher und ökonomisch-technischer Entwicklungen und ihn im Unterrichtsalltag in der Tat Tag für Tag ein Schuljahr lang zum Tragen bringt,
wird seiner Verantwortung in hohem Maße gerecht. Und ich bin mir sicher: Die allermeisten von Ihnen können genau auf eine solche pädagogische Leistung mit guten Gewissen zurückblicken. Natürlich
bekommt man dafür keinen Dreispalter in einer Tageszeitung oder Illustrierten, schon gar keinen Fernsehauftritt und man fällt auch niemandem als reformerische Dampflok auf. Aber eines ist
sicher: Mit dieser Leistung haben Sie sich Ihre Ferien und Ihren Urlaub redlich verdient!
Ich wünsche Ihnen zahlreiche erholsame Stunden und Tage, einfach ein gutes Leben in diesen schulfreien Wochen und dann im September die Fortsetzung von diesem guten Leben, von dem Ihre
Schülerinnen und Schüler profitieren werden!
Quelle: Harald Görlich, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Weingarten
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